Es ist bekannt, dass Laupheim und Bad Buchau in Oberschwaben vor langer Zeit viele Mitbürger hatten, die sich zum jüdischen Glauben bekannten. Diese Mitbürger waren Teil der bürgerlichen Gemeinde, sie engagierten sich genauso wie es auch andere Menschen tun. Damals. Bevor die Nazis kamen und die Meinung vertraten, dass diese jüdisch Gläubigen hier in ihrer Heimat nichts zu suchen haben und in Folge ermordet wurden. Heute gibt es kaum noch Mitbürger mit jüdischen Wurzeln. Trotzdem gibt es noch Antisemitismus.
Einerseits sagen viele Menschen, die diese nationalsozialistische Zeit nicht erlebt haben: „Wo ist das Problem. Es ist Vergangenheit. Ich habe damit nichts zu tun.“
Die andere Seite, es gibt den Antisemitismus immer noch? Warum gibt es immer noch Wörter, die genau diese Menschen mit jüdischem Glauben mit einem bösen hetzerischen Ton betiteln und beschimpfen? Und sind es junge Menschen? Wieso ist in einer Zeit, in der Religion nicht wichtig ist, der jüdische Glauben immer noch eine Zielscheibe?
Woher kommt es also, dass die Vergangenheit wieder zur Gegenwart wird? Fragen, Fragen und nochmals Fragen. Das Wort „Bildung“ fällt. Ein Blick auf menschliche Schicksale bringt es näher, als nur Zahlen und Fakten. An einem menschlichen Schicksal ist die Härte der Unmenschlichkeit nachvollziehbar. In der Geschichte können wir Beispiele entdecken, die helfen, dass wir nicht wieder stumm, wegschauend, ausblendend, unwissend sind. Damals wollte man die bevorstehende menschliche Katastrophe nicht sehen und sie wurde mit Hilfe von Propaganda vereitelt.
Der Blick in die Geschichtsbücher, das Sprechen mit Überlebenden und den Nachfahren hilft zu verstehen, damit wir für das Gestalten unserer Zukunft sensibilisiert sind.
„Katastrophen von Menschen gemacht“ müssen nicht wiederholt werden.
Das Museum für Geschichte von Christen und Juden ist ein fester Anker in Laupheim. Eine Stütze und Hilfe, ein Treffpunkt um von Überlebenden und Nachfahren zu erfahren, was in unserer Heimat in Oberschwaben passierte. Hinschauen, weil es wieder um die Zukunft geht, weil es wieder um ein Miteinander geht. Und es gibt ihn immer noch den Antisemitismus, diese Judenfeindlichkeit, selbst heute wo die jüdische Gemeinde in Oberschwaben kaum zählbar ist.
Das Wort Heimat.
Heimat ist dort, wo die Familie lebt, wo man sich ins Gemeindeleben integriert fühlt und hat. Heimat ist dort, wo mancher auch begraben werden möchte. Heimat ist ein starkes Wort, weil es viel Sehnsucht und Geborgenheit, Angenommensein in einer Gemeinde symbolisiert. Beziehungen haben in einer Gemeinschaft, auch das ist Heimat.
Blick in die Verangenheit: Die Familie Einstein hatte in Laupheim 1832 einen Textilhandel gegründet. Es wurde 1909 ein repräsentatives Kaufhaus eröffnet, das Gebäude gehört heute noch zu den schönsten historischen Gebäuden in der Altstadt. Es gab 1934, zum 100jährigen Jubiläum, ein Dankeschreiben an die Familie Einstein vom Bürgermeister für die Verdienste und das Engagement für die Stadt. Die Steuerabgaben des Textilhandels an die Stadt waren beeindruckend. Trotzdem die NS-Gewaltherrschaft und die Übergriffe auf die Familie Einstein begannen nur ein Jahr später. Fensterscheiben wurden eingeschlagen. Es gab in der Gesellschaft viele Veränderungen, viele Neuerungen, Angst vor der Zukunft breitete sich damals unter den Menschen aus. Die „Angst“ auf etwas nicht Greifbares, etwas nicht Einschätzbares verbreitete sich. Irgend etwas musste her, auf dass die Angst, der Hass gelenkt werden konnte. Damals fiel die Mißgunst und der Hass auf die jüdische Mitbürger. Eine Minderheit.
Verleumdungen, Beleidigungen an die jüdischen Familien gerichtet wurden zur Tagesordnung. Es wurde Alltag, sozusagen „normal“ und dies in wenigen Monaten. Der 13jährige Siegfried wurde gemobbt, mit Steinen beworfen und er musste die Schule verlassen. Die Sorge um die Kinder stieg. Einstein kam auf ein Internat in die Schweiz. Sein Vater Max Einstein wurde nach der Reichspogromnacht 1938 ins Konzentrationslager verschleppt. Er überlebte es, doch er war danach eine gebrochene Persönlichkeit. Für Siegfried Einstein, der seinem Vater ähnlich und sehr verbunden war, eine schmerzhafte Erfahrung. Die Eltern mussten Laupheim verlassen. Mittellos emigrierten sie in die Schweiz. Das Kaufhaus wurde arisiert, das heißt das Kaufhaus musste für einen kleinen Betrag verkauft werden, das Geld kam auf ein Konto. Doch dieses Geld durfte das Land nicht verlassen, allerdings mussten die Kontoinhaber das Land verlassen, wenn sie überleben wollten. Damit lässt sich erkennen, warum eine Familie mittellos im Exil starten musste, es ging ums Überleben.
Nach dem 25. November 1941 verloren die Juden die deutsche Staatsbürgerschaft, weil sie das Land verlassen hatten. Staatenlose Bürger wurden in der Schweiz in Arbeitslager interniert. So auch Siegfried Einstein von 1941 bis 1945. Ein Jahr später veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband. Es folgten weitere und er etablierte sich als Lyriker. Seine Bücher hatten mehrere Auflagen, was damals selten war.
Siegfried Einstein kam zurück nach Deutschland im Jahre 1953. Er zog nach Mannheim, verließ die Schriftstellerei und engagierte sich als Journalist und Redner für die Aufarbeitung der NS-Zeit. Mit seinem Werk „Eichmann. Chefbuchhalter des Todes“ erhielt er den renommierten Kurt-Tucholsky-Preis im Jahre 1964. Dieser Preis ehrt Autoren, die im Sinne Tucholskys der Realitätsprüfung dienen, Hintergründe recherchieren und aufdecken. Der Preis ehrt einen Beitrag, der dem Leser bei einer kritischen Urteilsfindung helfen soll.
Siegfried Einstein kam immer wieder nach Laupheim, doch er konnte nicht bleiben. Der Schmerz saß tief, vertrieben worden von seinem Kindheitsort. Er starb 1983 und ist beerdigt neben seiner Schwester auf dem Jüdischen Friedhof in Laupheim.
Eines seiner eindrücklichen Gedichte:
Abendlicher Monolog
Der Heimatlose bin ich hier und dort,
in allen Städten und auf allen Gassen.
Da ist soweit ich denken kann, kein Ort,
den nicht der Fremdling, der ich bin, verlassen.
Die andern haben einen Herd, ein Haus,
und manches Glück ist ihrem Tag bereitet:
Da ziehen Kinder ihre Schuhe aus
In Räumen, die mein Fuß nur scheu durchschreitet.
Und wie ein ungebetener später Gast.
Und abends, wenn ich meine Hände hebe,
als hätte ich mein Anderssein umfasst,
so weiß ich manchmal nicht, ob ich noch lebe.
Und staunend sehe ich die andern gehen
Mit Sicherheiten, die mich fast erschrecken;
Und Flammenzeichen, die sie nicht verstehn,
sind Todespein, wenn sie zur Nacht mich wecken.
Der Heimatlose bin ich hier und dort,
in allen Städten und auf allen Gassen.
Da ist soweit ich denken kann, kein Ort,
den nicht der Fremdling, der ich bin, verlassen.
Die Sonderausstellung im Museum für Christen und Juden in Laupheim ist noch bis 6. Januar 2020 zu sehen. Es gibt weitere Veranstaltungen und Öffentliche Führungen im Museum.
Adresse: Claus-Graf-Stauffenberg-Str. 15, 88471 Laupheim, Telefon: 07392 96 800-0
Mehr Infos unter Gedenkbuch
Weiterhin gibt es in der Dauerausstellung viele Aspekte wie das Miteinander von Christen und Juden in Laupheim aussah. Carl Lämmle ist ebenfalls ein Thema.