Viele Städte bieten das an, eine Kulturnacht, einen Kulturparcours – unabhängig wie es heißt. Es ist eine ideale Veranstaltung, weil in verschiedene Institutionen gleichzeitig geöffnet sind und es möglich ist einfach neue kulturelle Orte kennenzulernen.
So auch der traditionelle Freitagstermin Mitte September in der Stadt Biberach. An vielen Kulturorten ist geöffnet, es gibt einen kleinen Imbiss und es ist möglich gemütlich bei einem Getränk Musik zu hören oder auch Literatur, darstellende oder bildhafte Kunst zu erleben. Gesprächsanlässe gibt es viele und wer ambitioniert viele Orte besuchen will, kommt prompt wieder in Zeitnot. Daher drei Orte herausgepickt.
Der Rote Bau in Biberach
Das alte Backsteingebäude war jahrelang ein Diskussionsthema. Außer der schönen Außenfassade war das Gebäude nicht mehr nutzbar. Es hätte abgerissen werden sollen. Doch dank einer Bürgerinitiative und viel Protest wurde es restauriert und saniert. Heute befindet sich das Stadtarchiv in dem Gebäude und das beeindruckende Archiv von Christoph Martin Wieland. Das Gebäude hat noch die alte Treppe aus der Jahrhundertwende. Es sind sogar noch Tapeten bzw. damals waren es Muster, die mit der Walze auf die Wand angebracht wurden bei der Renovierung herausgekommen.
Christoph-Martin-Wieland-Archiv
Christoph Martin Wieland war einer der bedeutendsten Schriftsteller seiner Zeit. Er wurde 1733 in Oberholzheim bei Biberach geboren und verstarb 1813 in Weimar. Er lebte zur selben Zeit wie Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller. Wieland war der erste, der Shakespeares Werke übersetzte. Sein erstes Werk war „Der Sturm“, das Wieland auch als Theaterstück in Biberach im Komödienhaus aufführte.
Kerstin Bönsch, die Geschäftsführerin des Wieland Archivs sagte, dass Shakespeare im englischen schon Worte wählte, die neu waren. Es fehlte daher oft an Wörtern, wie diese in die deutsche Sprache übersetzt werden konnte. Wieland übersetzte sogar zuerst ins Französische um es dann in die deutsche Sprache zu übersetzen. Wieland hat 400 neue Worte für die deutsche Sprache „geboren“. Korrekt heißt dies Lehnwörter angewandt, dabei entstanden erstmalig zusammengesetzte Wörter wie „heimatlos“. Dieses Wort hat Wieland erstmalig verwendet. Auf die Frage, warum ist Wieland nie so berühmt geworden wie Goethe und Schiller. Ihre Antwort: Weil die beiden Theaterstücke geschrieben haben. Wielands schrieb mehr Prosatexte. Zudem sind es Texte, die Kritik und Witz beinhalteten, die heute nicht mehr verstanden werden. Theaterstücke können da angepaßt werden. Trotzdem war Wieland war einer der meist gelesenen Autoren seiner Zeit. Und er hatte eine größere Bibliothek als Goethe und Schiller. Über 4000 Bücher besaß Wieland. Im Biberacher Wieland-Archiv sind 2500 Bücher. Seine Bibliothek wird rekonstruiert, das heißt, es wird nach Ausgaben gesucht, die bei ihm in der Bibliothek gestanden sind. Das heißt nicht, es muss genau sein Buch gewesen sein, sondern sozusagen ein Buch aus derselben Auflage, in derselben Ausführung.
Wielands Werke selbst gab es in verschiedenen Ausführungen. Verkauft wurde der Prachtband für die Fürsten als auch eine einfachere Ausgabe für den kleineren Geldbeutel. Und diese Prachtbände stehen im Archiv genauso wie die einfacheren Ausführungen. Das Schriftstück ist in den verschiedenen Ausgaben identisch. Der Unterschied ist in der Ausstattung. So trägt ein Prachtband einen Lederumschlag mit feinen Stanzarbeiten, das erste Deckblatt ist ein Kupferdruck und der Text wurde in einer größeren Schrift abgedruckt. Eine edle bürgerliche Buchausgabe hatte im Vergleich nur einen Goldschnitt und ist kleiner im Schriftbild. Jeder Mensch hatte damals die Chance die Texte von Wieland kaufen zu können. Zudem war er Herausgeber der Literaturzeitschrift „Der Teutsche Merkur“ und dies im Zeitraum von 1773 bis 1789, ungewöhnlich lange für eine Zeitschrift.
Warum ich so begeistert bin von Wieland: Ich hatte vor einigen Jahren die deutschen Übersetzungen verglichen und mir fiel auf, dass Wieland weniger romantisch sondern klarer und präziser die Wörter einsetzte. Ich empfand seine Texte bzw. die Wortwahl für die damalige Zeit sehr modern. Er war seiner Zeit voraus und die Tatsache, dass er 400 neue Wörter „erfinden“ musste bzw. Lehnwörter kreierte, die wir heute noch nutzen. Ich finde das brillant.
Link zum Wieland-Archiv Biberach, Christoph Martin Wieland-Stiftung Biberach
Ort: Haus der Archive, Waldseerstr. 31, 88400 Biberach
Kunstverein Biberach e.V.
Der Kunstverein Biberach e.V. organisiert viermal im Jahr eine Ausstellung, die fast immer im Komödienhaus sind. Die aktuelle Ausstellung zeigte Werke der Künstlerin Ergül Cengiz. Die türkischstämmige Künstlerin schneidete händisch mit dem Cutter Ornamente und Formen aus Pappe. Unendlich wirken diese Reihungen von geometrisch wirkenden Formen. Wie von einer Maschine geschnitten, doch es bei genauem hinsehen der manuelle Duktus zu sehen. Nachdem sie die Formen auf teilweise raumhohen Werken geschnitten hat, werden diese mit Ölfarbe bemalt, dadurch erhalten sie eine gewisse Stabilität. Unterbrechungen sind beabsichtigt. Diese Scherenschnitte stellen einen Mix aus ornamentaler Kunst sowie westlichen figurativen Elementen dar. Der Titel der Ausstellung lautet Somnambulistan. Somnambulisums bedeutet Schlafwandeln und auch Mondsüchtigkeit. Daher der Ansatz der Künstlerin: Somnambulistan ist ein Land, noch an der Grenze eines noch nicht ausreichend erwachten Bewusstseins zwischen islamischer und christlicher Welt.
Die Ausstellung endet am 17. September 2017.
Link: Kunstverein Biberach e.V.
Ort: Komödienhaus, Viehmarktplatz, 88400 Biberach
Ausstellung Wasser im Museum Biberach
Im Museum läuft noch bis 22. Oktober 2017 die Sonderausstellung „Wasser“. Es gab an dem Abend stündlich kostenlose Führungen. Die Ausstellung besteht aus drei Abschnitten. Erstens: Welchen Stellenwert hat Wasser. Zweitens historische Entwicklung der Stadt und drittens was bedeutet es, was muss getan werden, dass diese Überschwemmungen wie es letztes Jahr die Stadt und die Region getroffen hatte, eingeschränkt werden.
Es ist immer wieder zu merken, dass ohne Führung wichtige Inhalte der Ausstellung verborgen bleiben. Neu war für mich, dass Biberach lange Zeit gar nicht an der Riss lag. Der Rotbach verlief immer durch die Stadt hindurch. Er diente zu den Anfangszeiten der Ansiedlung als Wasserbringer und auch als Abwasserkanal. Schon im frühen Mittelalter wurden vor den Toren im Umland Weiher und Seen angelegt, um die Wassermassen bei Starkregen oder Schneeschmelze vor den Toren der Stadt zu halten. Doch im Lauf der letzten Jahrhunderte wurden viele Weiher zugeschüttet, damit diese als landwirtschaftliche Fläche wieder nutzbar war. Auch der Rotbach, der auch Biberbach genannt wurde, verschwand unterirdisch im Stadtbild bzw. wurde geteilt und in den Ratzengraben geleitet. Neu war für mich auch, dass Biberach eine eine 1,3 Kilometer lange Uferpromenade hatte. Diese wurde nach dem zweiten Weltkrieg abgeändert. Der Bach wurde verlegt, das ehemalige Bachbett zugeschüttet und bebaut, unter anderem die Gymnasien. Die Entscheidung war einstimmig im Gemeinderat beschlossen und ein Jahr später umgesetzt worden. Das die Stadt an der Riss lag
Link zu den Führungen Museum Biberach
Ort: Museum Biberach, Museumstraße 6, 88400 Biberach