Jedes Mal wenn ich mit der Deutschen Bahn fahre wünsche ich mir eine Fahrt ohne besondere Vorkommnisse. Und nach der Fahrt denke ich immer, es hätte schlimmer kommen können. Die Deutsche Bahn als Helfer in positivem Denken.
Schon seit langem steht ein Besuch des ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie) auf meiner Wunschliste. Anlass angenommen und umgesetzt. Es begann wie im Bilderbuch. Regen und Sturm war angesagt. Doch in Biberach, Oberschwaben scheinte die Sonne, der Zug kam pünktlich. Was will man mehr. Umsteigen in Ulm. Alles im Fluss. Pünktlich kommt der Zug. Auf dem Bahnsteig treffe ich Josepha. Wiedersehensfreude. Wir hatten Kontakt bei einem Projekt. Mehr nicht. Wir setzten uns im IC nach Stuttgart zusammen. Als ich nach meiner Geldbeutel (schwäbisch für Geldbörse) kramte, stellte ich fest: er ist nicht dabei. Verloren. Vergessen? Ich war mir sicher, dass er nicht verloren ist. Vermutlich liegt er im Auto. Brauche ich Geld lautete die rhetorische Frage. Notgroschen sind in der Tasche. Nein ich brauche kein Geld heute – alles ist dabei was ich brauche.
Dann kam die Schaffnerin. Freudestrahlend zeigte ich ihr meine Online-Fahrkarte. Die Bahncard und der Personalausweis waren in der fehlenden Geldbörse. Ich zeigte ihr allerlei Dokumente, Emails, Visitenkarte. Genug Papier um zu beweisen, dass ich ich bin und eine gültige Fahrkarte habe. Das reichte der Schaffnerin nicht. Sie stellt mir eine Fahrpreisnacherhebung in Höhe von 60 Euro aus. Sie gab mir den Hinweis, dass ich mit einer Bearbeitungsgebühr von 7 Euro der Fall sich mit Bahncard und Personalausweis am Bahnschalter erledigt. Mach ich – ist ja mein Problem, wenn ich ohne das wichtigste Accessoire unterwegs bin. Josepha bestand drauf, dass sie mir jetzt 30 Euro leiht. Nach einem Zögern nahm ich an. Sie weiß, dass ich es ihr am Montag bringen werde. Und wieder war ich mir sicher, ich werde das Geld nicht brauchen. Doch es kam unerwartet anders.
Trennung in Stuttgart und Weiterfahrt nach Karlsruhe. Kein Zugbegleitpersonal wollte etwas von mir wissen. Glück gehabt, denn vermutlich wäre die nächste Fahrpreisnacherhebung notwendig geworden. In Karlsruhe direkt das ZKM angefahren und die Ausstellung Globale angeschaut. Auf dem Weg zurück am Bahnhof nachgefragt, ob es tatsächlich jede Fahrt eine Fahrpreisnacherhebung bedingt, auch wenn alle auf einem Ticket stehen. Er sagte ja. Mit einem Lächeln fügt er hinzu: „Warten Sie die Schaffnerin ab, vielleicht haben sie Glück.
Ok. Glück im Unglück. Die Zugbegleiterin im IC meinte nach Sicht der Onlinefahrkarte: „Sie hatten heute Morgen Stress, das reicht für heute“. Voll nett. „DANKE“, sagte ich.
Es gab während der Fahrt eine Ansage, dass der Zug nicht in Stuttgart hält. Störte mich nicht. Ich wollte ja nach Ulm. Doch es kam anders. Der Zug hielt in Plochingen. Zuerst für unbestimmte Zeit, kurz danach eine Ansage, dass alle Fahrgäste nach Ulm aussteigen sollen. Ok. Schnell eingepackt und raus. Übers Remstal nach Augsburg wollte ich dann doch nicht. Ein Notarzteinsatz zwischen Göppingen und Eislingen war der Grund. Am Bahnsteig Plochingen kam eine unverständliche Ansage. Online wurde der Zug eine Stunde später empfohlen. Die ungehorsame Gruppe von ausgestiegenen Bahnfahrern wählte die Bummelbahn, die nach Prüfung immer noch früher in Ulm ist und somit Anschlusszüge Richtung Bodensee erreichbar macht. „Lieber bummeln wir das Filstal hoch, als dass wir eine Stunde in der Kälte stehen“, so das gemeinsam gefundene Credo. Weiter ging es bis Göppingen. Dann stoppte der Zug erneut und versprach keine Weiterfahrt. Vollsperrung. Der Zug fährt wieder zurück nach Stuttgart. Pause. Eigentlich müsste man nur an der Notfallstelle vorbei. Ob die Bahn wohl einen Schienenersatzverkehr anbietet? Im Göppinger Hauptbahnhof wimmelte es von über 100 Personen, die nicht wussten wie es weitergehen soll. Multilingual. Und die Ansage war viel zu leise um irgendetwas zu verstehen. Es hieß es werde ein Bus angefordert. In einer Stunde ist er da.
Busabfahrtsplatz wurde auf dem ZOB gesucht. Keiner wusste Bescheid. Wieder zurück zum Bahnhof. Schienenersatzverkehr gestrichen, mangels Bussen. Es sei Fasnet, alle Busse sind im Einsatz. Die Ansage immer noch sehr leise. Es war ein Hinhalten mit Infobroken und immer wieder der Hinweis: Vollsperrung Notfalleinsatz. Was da wohl passiert ist. Es heißt nichts Gutes. Einer sagte: „Schei.. Job, die Teile wieder einsammeln“.
Mit Blick auf die Gruppendynamik. Es gab Personen, welche die wenigen Infos, die wir von der Bahnmitarbeiterin per Lautsprecher erhielten, ins Englische für die Mitwartenden übersetzten. Wieder andere Personen standen direkt unter dem Lautsprecher um den Wortlaut besser zu verstehen. Andere suchten online oder telefonisch nach Informationen, wie es und wann es weitergeht. Wieder Andere telefonierten und sandten Nachricht, dass die Heimreise sich verzögert. Auffallend – trotz digitalem Zeitalter – die Menschen schauten sich an, reagierten auf einander und sprachen miteinander. „Können Sie auf meine Tasche aufpassen? Ich muss aufs Klo“ war einer der Sätze. Koffer wurden in die Mitte der Gruppe gestellt und es gesellten sich weitere Taschen zum Aufpassen hinzu. Auch wurde relativ schnell recherchiert für andere, wer wo wie in welchen Zug noch zur Heimreise braucht.
Mittlerweile fand die Ansagestimme den Lautstärkeregler. Vielleicht hatte sie endlich auf ihrem Pult gesehen, dass die Wartenden in Richtung Lautsprecher sprangen, um besser hören zu können. Es hallte sehr in der Bahnhofsvorhalle. Fast hätte es Beifall gegeben, doch die Info war immer noch unbefriedigend. „Woher sollen sie auch mehr wissen“, sagte ein Mann beruhigend. Es ist abhängig wie lange die Polizei und der Notarzt vor Ort arbeiten müssen, sagte ein Mann. Nachdenken. Ein Zug nach dem anderen fiel aus. Die Frage stand im Raum, wann zahlt die Bahn ein Taxi. Wie kommen wir weiter. Ja, richtig gelesen. Mittlerweile gab es ein WIR-Gefühl. Gewissheit gab es nicht, ob der Zug ab 22.00 Uhr fahren wird.
Die Entscheidung fiel – WIR fahren mit dem Taxi nach Ulm, auch auf eigene Kosten. Hauptsache weiter. Heimwärts. Taxis waren ebenfalls Mangelware. Eine Frau aus Ulm kam extra nach Göppingen gefahren, um ihre Angehörige abzuholen und sie nahm weitere Personen mit. Der Kreis von wartenden Menschen wurde kleiner. Es gab eine gruppendemokratische Entscheidung, wer das nächste Taxi bekommt. Die Personen, die am weitesten noch eine Heimreise hatten, sollten zuerst fahren, damit die weiterfahrenen Züge ab Ulm besser erreicht werden. Übrig blieb eine Anzahl von Personen, die nicht in einen PKW reingepasst hätte. Wiederum Glück. Es kam ein 7-Sitzer um die Ecke.
Die Taxikosten wurden in Ulm auf die Personen verteilt. Gut, dass ich die 30 Euro von Josepha dabei hatte. Jetzt kamen sie zum Einsatz. Im Bahnhof bescheinigte ein Bahn-Mitarbeiter den Ausfall der Züge, empfahl auch die Taxikosten bei der Beschwerde miteinzureichen. Wieder im Zug in Richtung Süden …. WIR saßen alle in einem Wagen, unterhielten uns. Es ging uns gut.
Eine Biberacherin stellte fest, dass wir doch ein sehr positives Grüppchen sind. Keine Nörgler, Jammerer, Schimpfer, Stinkstiefel, Miesepeter dabei, eher Menschen die aus der Situation das Beste machen. O-Ton von ihr: Wann fahren wir das nächste Mal gemeinsam? Es wurde gelacht. Antwort: „Unter anderen Umständen gerne wieder“.