Schon der Titel der Ausstellung im Museum Villa Rot sowie der Kunsthalle Rot in Burgrieden-Rot nahe Laupheim scheint schon verwerflich. Die Lust am Fleisch. Welche Lust? Das Thema Fleisch polarisiert. Und gerade das ist das Brutale. Was ist Dein/Ihr erster Gedanke, wenn das Wort Fleisch fällt? Eine Kunstausstellung, die Diskussion für ein gesellschaftliches Tabuthema präsentiert.
Ist der erste Gedanken dem Essen gewidmet? Der Konsum von Fleisch ist für die einen selbstverständlich, andere wiederum leben vegetarisch, vegan, fleischlos. Vera Mercer präsentiert in ihren üppig ausgestatteten fotografierten Stilleben eine komponierte Unordnung, nichts ist dem Zufall überlassen. Die Werke haben die Maße 150 x 200 cm. Mehr als in den barocken Stilleben wird eine vergrößerte Detailansicht des Arrangements aus Früchten, Blumen und abgetrennten Tierköpfen gezeigt. Wie Helden wirken die Objekte, die Ikonen der Essenslust. „Vera Mercer hat mehrere Restaurants und kocht danach die fotografierten Objekte“, erzählt die Museumsleiterin Dr. Stefanie Dathe. Es ist für die Künstlerin eine Rückführung ins Leben.
Wieder so ein Gedanke: Rückführung ins Leben. Der Mensch ißt Fleisch. Der Mensch besteht aus Fleisch. Fleischessen als Stärkung zum Leben. Fragezeichen. Ausrufezeichen. Fragezeichen. Einige Mütter berichten, dass pupertierende Jungs ständig Hunger nach Fleisch haben. Als Erklärung wurde genannt, weil es schneller satt macht. Mag sein. Bei dem Video von Sam Taylor-Johnson wird ein Hasenkadaver an der Wand geheftet. Im Zeitraffer kann schonungslos zugeschaut werden, wie die Maden sich über das Tier hermachen, bis nur noch Haare und Knochen übrig sind.
Die Vergänglichkeit des Lebens im Zeitraffer. Eine Besucherin konnte bestätigen, dass es sehr schnell geht. Gar nicht selten legt die geliebte Hauskatze ihre Trophäe, eine tote Maus auf die Terrasse. Im Laufe des Tages wurde die tote Maus von einer Armee von Schnecken weggefressen. Fleischeslust.
Nachdenkenswert: Die Inszenierung des Essens, von Fleisch in Magazinen, Lebensmittelprospekten und Hochglanzbüchern. Ersetzt das inszenierte Essensbild das eigentliche Kochen? Katharina Arndt hat in ihren Werken mit den Maßen 100 mal 80 Zentimeter mit Lackstift und Acryl verschiedene Stilleben von Fleisch auf Fetischstoff gemalt. Fetischstoff ist meist ein hochglänziges elastisches gummiartiges wasserdichtes Gewebe. Manche Menschen tragen diesen Stoff, bedecken ihre Haut, darunter das Fleisch – Katharina Arndt malt in Neonfarben Fleisch und Wurst. Gegenüber hängen die feinen Zeichnungen von Francisco Siera. Mit Buntstiften wurden die Fleischteile porträtiert.
Der Sessel aus Rindfleischstücken regt Widerspruch. Jana Sterbak heißt die Künstlerin, die diese Idee hatte. Bekannt wurde sie mit einem Kleid aus Fleischstücken. Auch Lady Gaga trat in jüngerer Zeit mit einem Fleischkleid auf. Der designte Sessel, nach einer Vorlage von Jana Sterbak, wurde diesen Sommer aus Fleischstücken genäht, eingesalzen und an der Luft getrocknet. Die Frage drängt sich auf, wieso regen sich Menschen auf, wenn der Sessel aus Fleisch gebaut ist? Dabei setzt man sich gedankenlos in einen Ledersessel, läuft in Lederschuhen und trägt Lederhandtaschen. „Fleisch ist intimer als Haut“, sagt die Museumsleiterin. Haut ist die äußerste sichtbare Schicht. In Sichtweite sind die Farbfotografien von Alex van Gelder. Wie gemalt, die feinen Strukturen. Erst auf den zweiten Blick erkennt man woher das Teil stammt. Ekelig oder mißachtete Schönheit?
Freches Gedankengut präsentieren die Filderbahnfreunde-Möhringen mit ihrer Arbeit „Made in Germany“. In einer Tischvitrine sind rechteckige Speckstücke aneinandergereiht, es wirkt wie ein Apfelkuchen mit abdeckendem Baiser. Doch wer genau hinschaut erkennt den Speck und wie dieser von Maden angefressen wurde. Ein Wink auf das wertvolle Etikett „Made in Germany“.
Das digitale Projekt Bistro-in-Vitro wurde unter der Leitung von Koert van Mensvoort entwickelt. Am Bildschirm kann sich der virtuelle Gast ein persönliches Menü aus kultivierten Laborfleisch zusammenstellen. Das geht soweit, dass man sich theoretisch aus der bekannten DNA eines Vorbildes einen Happen Fleisch bauen, wachsen lassen kann und dieses dann ißt. Ziel von BISTRO IN-Vitro ist über Ethik, Ästhetik und Perspektiven synthetisch hergestellten Fleisches nachzudenken. Das Restaurant könnte 2028 eröffnet werden. Es ist Zukunft.
Ebenfalls ein Thema ist das Verhältnis der Menschen zu seinem eigenen Körper ob Bodybuilding, Magersucht, Schönheitsoperationen oder dem Wahn einem jugendlichen Körper nachzueifern.
Charmant ist der Leberkäsmarsch von Nina Rike Springer aus Wien. Die Ornamentteppichbilder von Wim Delvoye, Belgien fesseln. Kokett wirkt die Wurstserie „Eitles Pack“ von Fischli/Weiss aus der Schweiz. Ach, da war doch was. Mit Fleisch spielt man nicht. Fleischeslust. Dem Leben zugeführt. Eine Ausstellung, die 31 verschiedene Künstler und ihre unterschiedlichen Arbeiten zeigt und die darüber nachdenken und diskutieren lässt, welches Verhältnis jeder zum Fleisch hat. Fakt ist – der Mensch besteht aus Fleisch. In Deutschland gibt es nur einen Begriff für Fleisch – in England wird unterschieden zwischen flesh und meat.
Anfahrt: Museum Villa Rot, Schlossweg 2, 88483 Burgrieden-Rot